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29. März 2024

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Größere Achtsamkeit und mehr Feingefühl für Kinder

Größere Achtsamkeit und mehr Feingefühl für Kinder© MedUni Innsbruck

Umfangreiche Studie untersuchte in Tirol psychische Befindlichkeiten von Kindern während Corona-Krise. Angst- und Traumasymptome bis hin zu Auswirkungen auf Wachstum als Ergebnis bei den umfassten Drei- bis Zwölfjährigen.

(red/czaak) Bereits kurze Zeit nach Beginn der weltweiten Corona-Pandemie im März 2020 stand das psychische Befinden von Kindern im Alter zwischen drei und zwölf Jahren in Tirol und Südtirol im Fokus einer wissenschaftlichen Untersuchung (economy berichtete). Die Studie wurde von Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Uniklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter und fachärztliche Primaria am LKH in Hall (T). geleitet. Über einen Zeitraum von über zwei Jahren wurden in vier Frageabschnitten in Summe 4.480 Fragebögen ausgefüllt und nun liegt das Ergebnis vor.

Die Krise auch als Chance sehen
„Wir konnten eine Hochrisikogruppe von Kindern mit klinisch relevanten Traumasymptomen und Corona-bezogenen Ängsten identifizieren, die einer besonderen Unterstützung bedürfen. Dazu kommt, dass sich die Ergebnisse zur psychischen Gesundheit sowohl von Vorschul- als auch von Schulkindern im Untersuchungszeitraum deutlich verschlechtert haben. Die gute Nachricht ist, dass wir auch positive Veränderungen unter den Kindern festgestellt haben“, berichtet Karin Sevecke.

Als positive Veränderung wurde etwa ein gestärkter Zusammenhalt in der Familie, der Erwerb von neuen Fähigkeiten oder Selbständigkeit erlebt. Posttraumatisches Wachstum lautet der Fachbegriff, hier werden traumatische Erfahrungen nicht nur als Defizit, sondern auch als Ressource von persönlichen Entwicklungsprozessen beschrieben. „Eine gezielte Unterstützung gefährdeter Kinder und die nachhaltige Förderung von posttraumatischem Wachstum kann zur psychischen Gesundheit und zur psychosozialen Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft beitragen“, so Sevecke. „Dahingehende Ressourcen müssen unbedingt genutzt werden.“

Feinfühlige Eltern für starke Kinder und Innovation in Behandlungsformen
Die Belastung der Kinder und Jugendlichen in der Pandemiezeit hat auch die Ressourcen von therapeutischen und stationären Einrichtungen an ihre Grenzen gebracht. „Es gibt überzeugende therapeutische und vorbeugende Ansätze, die die Sensibilität für die Bedürfnisse von Kindern stärken und Belastungsstörungen frühzeitig verhindern können, sodass eine oft als stigmatisierend erlebte Psychotherapie gar nicht erst nötig wird“, erläutert Ann-Christin Jahnke-Majorkovits.

Sie beschäftigt sich als klinische Psychologin an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall vor allem mit Bindungsforschung und der Interaktion zwischen Eltern und Kind. Diese Eltern-Kind-Beziehung ist oft Ursache für die Störungsanfälligkeit von Kindern. „Wir sind in Österreich die ersten, die eine Ausbildung im frühen Hometreatment mittels bindungsbezogener Behandlung von ein- bis sechsjährigen Kindern und ihren Eltern auf der Basis von Videos anbieten“, so Jahnke-Majorkovits.

Gesicherte Finanzierung und Aufnahme in Leistungskatalog der Gesundheitskasse
Das vor allem bei Kleinkindern wirksame und an der Universität Leiden entwickelte Konzept der videobasierten Intervention VIPP-SD (Anm. Video-feedback intervention to promote positive parenting and sensitive discipline) soll Eltern früh in ihrer Feinfühligkeit unterstützen, um die Entwicklung von Selbstvertrauen und Sicherheit beim Kind zu fördern. Dabei werden innert sechs Monaten alltägliche Interaktionen (Anm. spielen, essen oder aufräumen) zwischen Mutter, Vater und Kind gefilmt und bei Hausbesuchen gemeinsam mit geschultem Personal gemeinsam analysiert.

Jahnke-Majorkovits leitet die ersten deutschsprachigen Anwendungen mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, dem SOS-Kinderdorf Imst und dem Krankenhaus Zams. Das Projekt wird vom Tiroler Gesundheitsfonds unterstützt. „Um die Implementierung der VIPP-Methode in Tirol voranzutreiben, wollen wir ein Ausbildungszentrum werden und dafür braucht es eine gesicherte Finanzierung und die Aufnahme von niederschwelligen Hometreatment-Angeboten in den Leistungskatalog der Gesundheitskasse“, unterstreicht Kathrin Sevecke. Die VIPP-Methode in der Kinder- und Jugendhilfe sei zudem auch im ambulanten und praxisbezogenen Bereich sinnvoll, so die Expertinnen der Tiroler Kinderpsychiatrie und Jugendhilfe.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 31.01.2023