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19. März 2024

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Der Faktor Vertrauen und die disruptive digitale Transformation

Der Faktor Vertrauen und die disruptive digitale Transformation© Pexels.com/Andrea Piacquadi

Donau Uni Krems diskutiert internationale Studie „Digital in Time of COVID“ mit internationalen Topforschern und erläutert Rolle Österreichs im Vergleich mit neunzig anderen Staaten.

(red/mich/cc) Die COVID-19-Pandemie führte und führt zu extrem raschen und umfassenden, disruptiven Umstellungen in der Nutzung von Online-Angeboten und das betrifft den beruflich unternehmerischen wie auch den privaten Bereich. Das Team um einen der weltweit führenden Digitalisierungsforscher Bhaskar Chakravorti von der Fletcher School at Tufts University nimmt sich in seiner vergleichenden Studie „Digital in the Time of COVID – Trust in the Digital Economy and Its Evolution Across 90 Economies as the Planet Paused for a Pandemic” dieser Fragestellung an und nun wurde diese Studie erstmals in Europa vorgestellt.

Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung der Donau-Uni Krems
Organisiert vom Transdisziplinären Lab für Sustainable Digital Environments an der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung der Donau-Universität Krems, führte Gerald Steiner, Co-Leader des Td-Labs für Sustainable Digital Environments, gemeinsam mit Ilja Steffelbauer durch die Onlineveranstaltung. Die Diskussion wurde ergänzt mit relevanten Sichtweisen und maßgeblichen Aspekten zum Thema Digitalisierung von führenden Forschern wie Eva Schernhammer, Reinhard Posch, Manfred Laubichler und Peter Parycek. Ein Schwerpunkt von Studie und Diskussion betrifft unterschiedliche Herangehensweisen und Auswirkungen der beleuchteten Staaten.

Dass die Digitalisierung nahezu alle Bereiche des Alltags erfassen wird oder bereits erfasst hat, ist allgemein bekannt. Dass die Staaten bei dieser Entwicklung unterschiedlich schnell voranschreiten, überrascht ebenso wenig. Worin nun die dahinterliegenden Ursachen für diese Unterschiede bestehen, ist hingegen alles andere als trivial zu erfassen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen ökonomische, rechtliche, gesellschaftliche, kulturelle sowie zahlreiche weitere Faktoren miteinbezogen werden.

Kartografen der digitalisierten Welt
In seiner Keynote bot Digitalisierungsforscher Chakravorti einen Überblick der aktuellen Studie, die Teil der Initiative Digital World der Fletcher School ist. Das Forscherteam versteht sich dabei als Kartografen der digitalen Welt und erfasst 90 Länder mit zahlreichen Parametern, um die Digitalisierung besser zu verstehen. Konkret ging der Experte auf die Lage in Österreich und Deutschland ein. In einer Standortbestimmung werden die Staaten in vier Kategorien eingeteilt, abhängig vom aktuellen Fortschritt der Digitalisierung und ihrer Veränderungsdynamik.

Österreich sowie viele andere westliche Länder zählen zur sogenannten Stall-out-Gruppe, die die erste Ausbauphase gut genützt haben, deren Digitalisierungsschub aber nachgelassen hat. Demgegenüber sind Stand-out-Länder wie die USA und Südkorea gut entwickelt und dynamisch in der Weiterentwicklung. Die Gruppe der Break-out-Länder ist wiederum gekennzeichnet durch einen geringeren Entwicklungsstand gepaart mit einer großen Veränderungsgeschwindigkeit - wie etwa in China und Russland. Die letzte Gruppe bilden die Watch-out-Länder, wo ein geringer digitaler Entwicklungsstand sowie eine geringe Dynamik zusammenkommen. Dazu gehören etwa Ungarn, Nigeria und Pakistan.

Datenschutz, Soziale Medien, Digitales Ökosystem
Ein entscheidender Faktor aus der Sicht von Chakravorti ist die Rolle des Vertrauens der Menschen in digitale Dienste und Infrastrukturen. Dieses Vertrauen wurde in vier Dimensionen zerlegt und in insgesamt 198 Indikatoren gemessen. Die erste Dimension stellt die Einstellung der Menschen dar: Wird den Unternehmen und staatlichen Einrichtungen geglaubt, etwa dass der Datenschutz berücksichtigt wird.

Das Verhalten bildet die zweite Dimension: Werden die sozialen Medien oder Online-Zahlungsmethoden verwendet? Die geschaffene digitale Umgebung ist die nächste Dimension: Welche Ökonomien konnten ein vertrauenswürdiges und sicheres digitales Ökosystem etablieren? Das tatsächliche Erleben macht die vierte Dimension aus – hier zeigt sich, wer eine möglichst nahtlose und angenehme Benutzung digitaler Angebote geschaffen hat.

Pandemiebekämpfung ebenso eine Frage des Vertrauens
Den Fokus auf die Situation in Österreich legte Eva Schernhammer von der Med-Uni Wien in der „Austrian COVID-19 Trust Study“. Während die erste Welle im Frühjahr 2020 in Österreich erfolgreich gemeistert wurde, gestalte sich der Umgang mit der 2. Welle seit Herbst 2020, die ungefähr um den Faktor zehn größer ist, deutlich schwieriger. Diese Veränderung wurde in zwei Erhebungen Anfang Juni und Ende November 2020 abgebildet.

Dabei zeigte sich in der Bevölkerung ein signifikanter Rückgang bei der Bereitschaft die Corona-Maßnahmen mitzutragen: Lag die starke Bereitschaft im Frühjahr noch bei knapp über 65 Prozent, sank diese in wenigen Monaten auf knapp 47 Prozent. Gleichzeitig stieg die vehemente Ablehnung von rund 6 auf über 14 Prozent. Bei der Impfbereitschaft stünden rund 36 Prozent Befürworter rund 40 Prozent Impfskeptikern gegenüber.

Nichtwähler und Oppositionelle lassen sich nicht impfen
Es zeigten sich zudem Korrelationen zwischen der Wahrscheinlichkeit sich impfen zu lassen und verschiedenen Faktoren: Frauen zeigten eine geringere Impfbereitschaft, ebenso wie Menschen unter 55 Jahren. Die Bevölkerung am Land und Menschen mit geringer Bildung sind auch Gruppen mit geringerer Impfbereitschaft im Vergleich zu Stadtbewohnern und Höhergebildeten.

Auch beim Wahlverhalten wurde ein Zusammenhang erkennbar: Nichtwähler sowie Bürger, die bei der letzten Wahl für eine Oppositionspartei stimmten, wiesen eine Tendenz auf sich nicht impfen lassen zu wollen. Daraus lässt sich ablesen, dass das Vertrauen in die Politik in diesem Kontext in der Bevölkerung enden wollend ist. Vier von fünf Befragten forderten wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit der von der Politik vorgegebenen Maßnahmen.

Gefahren und Chancen durch COVID-19
In der anschließenden virtuellen Podiumsdiskussion erinnerte Reinhard Posch, CIO der Bundesregierung und Leiter des Zentrums für sichere Informationstechnologie – Austria (A-SIT), daran, dass im Zuge des Handlungsdruckes durch die COVID-19-Pandemie viele Prinzipien über Bord geworfen wurden. Etwa die Datensicherheit, „die durch Zeitdruck bei der Umstellung auf digitalisierte Abläufe nicht wie sonst berücksichtigt wurde“, so Posch. Für ihn sei Transparenz ein Schlüssel zu Erfolg und Vertrauenswürdigkeit. So müsse beispielsweise der Umgang mit personenbezogenen Daten beim Contact Tracing klar und verständlich kommuniziert werden.

Peter Parycek, Deutscher Digitalrat und Leiter des Departments für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung der Donau-Uni Krems, betonte die katalysatorische Wirkung der Pandemie: So sei durch die plötzliche Umstellung auf Distance Learning, Homeoffice und andere Onlineprozesse gerade in den Stall-out-Ländern ein Innovationsschub ausgelöst worden. Geschäftsmodelle müssten neu überdacht werden und „gerade das Spannungsfeld von Datenschutz und -Verwendung sei dabei besonders schlagend geworden“, so Parycek.

Komplexe Systeme und Herausforderungen
Manfred Laubichler von der Arizona State University betrachtete die digitale Transformation in Verbindung mit der von COVID-19 ausgelösten Situation unter einem systemischen Blickwinkel: Er sehe zwei sich überschneidende Entwicklungen: die gesellschaftliche Transformation und die Evolution von COVID-19. Für den Nachhaltigkeitsforscher Laubichler zeige sich in der hohen Verwundbarkeit der Systeme die Kehrseite ihrer hohen Komplexität. Zeitfenster für Korrekturen werden dadurch deutlich kleiner. Laut Laubichler würden sich Wissenschaftler schwertun, Unsicherheiten der Öffentlichkeit zu kommunizieren und so stellt sich auch hier die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit.

Laubichler sieht transdisziplinäre Zugänge als möglichen Lösungsweg. Das Ende der Pandemie dürfe nicht das Ende des Krisenmodus darstellen, Umwelt- und Klimakrise sowie soziale Ungerechtigkeiten bleiben bestehen und auch hier „sei die Wissenschaft gefordert“. In der weiteren Diskussion trat Eva Schernhammer für eine deutliche Trennung von Politik und Wissenschaft ein. Es sei schwierig geworden „die Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zu überzeugen und so habe die Politik versucht, Forschende zu instrumentalisieren“. Erfreulich war für die Expertin die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft: „Immerhin wurde noch nie eine Impfung in weniger als fünf Jahren entwickelt“.

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red/mich/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 09.02.2021