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19. April 2024

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„Zinshäuser sind Gelddruckmaschinen“

„Zinshäuser sind Gelddruckmaschinen“© OeAW/Stadt Wien

Der private Wohnungsmarkt in Wien erlebte in den vergangenen Jahren einen tiefen Wandel. Die vielzitierte Gentrifizierung kann diesen aber zumindest bei den verbreiteten Zinshäusern kaum erklären, so eine Studie von ÖAW und Architekturbüro HuB.

(red/czaak) Zinshäuser aus der Gründerzeit (Anm. von 1848 bis 1918) spielen auf dem Wiener Wohnungsmarkt eine relevante Rolle, quantitativ und auch wegen ihrer Zugänglichkeit: “Die Mieten sind hier gesetzlich gedeckelt und daher mieten viele Neuankömmlinge erstmal dort Wohnungen. Diese sind billig und im Gegensatz zu Genossenschafts- oder Gemeindewohnungen für jeden gleich zugänglich”, erklärt Robert Musil vom Institut für Stadt und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Gemeinsam mit einem Forscherteam untersuchte er die Entwicklung dieser Gründerzeithäuser in Wien und nun wurden die Ergebnisse der Studie im Verlag der ÖAW veröffentlicht.
 
“Wir haben erstmals für die ganze Stadt adressgenau erhoben, wie sich dieser Teil des privaten Mietwohnungsmarktes entwickelt hat“, erläutert Musil. Bemerkenswert war etwa, dass zwischen 2007 und 2019 der Zinshaus-Bestand in Wien um 2.117 Zinshäuser abgenommen hat, ein Rückgang von rund 12 Prozent. 80 Prozent davon wurden in Eigentumswohnungen überführt, der Rest wurde abgerissen, um Platz für Neubauten zu schaffen. „Treiber sind stark gestiegene Preise für Eigentumswohnungen, die Abrisse und Parifizierungen sehr lukrativ gemacht haben. Zinshäuser sind unter diesen Voraussetzungen regelrechte Gelddruckmaschinen”, so ÖAW-Forscher Musil.
 
Die Quantifizierung der Gentrifizierung
In einem zweiten Schritt analysierten die Wissenschaftler die Biografien der Zinshäuser in ausgewählten Quartieren, um Aussagen über die Art und Dynamik der Transformation treffen zu können. Inkludiert war die Frage, welche Rolle die Gentrifizierung, also vereinfacht gesagt die Verdrängung einkommensschwächerer durch wohlhabendere Haushalte, gespielt hat. “Die Transformation der Zinshäuser spiegelt sich auch in einer Veränderung der Sozialstruktur wider. Der Anteil der AkademikerInnen ist zum Beispiel deutlich angestiegen“, erklärt Musil.

„Unsere Daten zeigen aber auch, dass das Haushaltseinkommen kein entscheidender Faktor beim Wandel der Bewohnerstruktur von Zinshäusern ist.“ Stattdessen zeige sich, dass bestimmte Zuwanderungsgruppen – insbesondere jene mit türkischen oder ex-jugoslawischen Migrationshintergrund – inzwischen in andere Segmente des Wohnungsmarktes, wie in Eigentums- oder Gemeindewohnungen, abgewandert sind.
 
Wien war nie Chicago
Während bisherige Untersuchungen zum Thema Gentrifizierung hauptsächlich auf qualitativen Befragungen in einzelnen Grätzeln Wiens beruhten, erlaubt die neue Arbeit auch eine quantitative Beurteilung der Gesamtsituation. “Wir reden oft über falsche Themen und Begriffe. Gentrifizierung funktioniert als Erklärungsmodell in Chicago oder London. In Wien mit seinem sozialen Wohnbau müssen wir aber andere Erklärungsansätze finden”, sagt Musil. Unterschiedliche Regulierungen, politische Machtverhältnisse und historisch gewachsene Strukturen im Wohnbau würden direkte Vergleiche städtischer Wohnungsmärkte jedoch erschweren.
 
„Auch wenn aufgrund der starken räumlichen Konzentration der Verdrängungsdruck in bestimmten Quartieren der Gründerzeit in Wien beträchtlich ist, ist das Ausmaß der Gentrifizierung in der Gesamtstadt durch den hohen Anteil an kommunalem und gefördertem Wohnbau doch überschaubar“, unterstreicht Florian Brand als Ko-Autor der aktuellen Studie. „Es scheint hierzulande eine gewisse Diskrepanz zwischen der Debatte über Gentrifizierung und dem tatsächlichen Phänomen zu existieren“, so der Experte vom Architekturunternehmen Huemer und Brand (HuB).
 
Heterogene Akteure und kleine regionale Kapitalgeber
Getrieben wird der Wandel im Zinshaussegment übrigens von sehr unterschiedlichen Akteuren, so die Forscher. „Von kleinen Handwerks-Unternehmen bis zu großen Aktiengesellschaften ist alles dabei.“ Überraschend war für das Forscherteam die Finanzierungsseite der Transformation am Wiener Zinshausmarkt.

“Es zeigt sich, dass hier häufig nicht internationale Banken die Geldgeber sind, sondern kleine, regionale Kreditinstitute, von Gmünd bis Bludenz, die bei der Kreditvergabe flexibler sind. Das werden wir uns in einer weiteren Studie genauer ansehen”, so Robert Musil vom Institut für Stadt und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 02.12.2021