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15. October 2024

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„Ein Insolvenzjahr wie schon sehr lange nicht“

„Ein Insolvenzjahr wie schon sehr lange nicht“© Pexels/ Nicola Barts

Weiterer massiver Zuwachs an Betriebspleiten. Doppelt so viele Großinsolvenzen wie im Vorjahr. Handel, Bau sowie Hotellerie und Gastro besonders betroffen. Weniger privater Konsum und Exporte, hohe Kosten bei Mieten, Energie und Löhnen als Ursachen.

(red/czaak) Fast 5.000 insolvente Unternehmen in den ersten drei Quartalen des heurigen Jahres (exakt 4.895). Das bedeutet eine Steigerung von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2023. Im Schnitt gibt es 18 Firmenpleiten pro Tag. Besonders betroffen sind einmal mehr der Handel, die Bauwirtschaft und die Bereiche Beherbergung und Gastronomie. Der Kreditschutzverband KSV1870 erwartet bis Jahresende rund 6.500 Firmenpleiten.

In Kombination mit einer Vielzahl an Großinsolvenzen (Anm. bis dato 55 mit jeweils mindestens über 10 Mio. Euro) sind auch die vorläufigen Passiva auf rund 15 Mrd. Euro gestiegen. Das entspricht einem Zuwachs von enormen 683 Prozent. Zudem sind die betroffenen Arbeitnehmer um knapp sechs Prozent auf 18.700 Personen und die Zahl der Gläubiger um circa 13 Prozent auf 36.800 Betroffene angewachsen.

Weniger privater Konsum und Exporte und parallel mehr Kosten
Eine Vielzahl der heimischen Unternehmen hat weiterhin massiv mit ihrer Geschäftslage und fehlenden Einnahmen zu kämpfen. Die seit knapp einem Jahr deutlich erhöhte Insolvenzdynamik bleibt aufrecht und findet im dritten Quartal 2024 ihre Fortsetzung, selbst wenn dieses in absoluten Zahlen leicht hinter den ersten beiden Quartalen des Jahres liegt.

„Die Betriebe sind sehr häufig am Limit und müssen sich vermehrt die Existenzfrage stellen. Das wird auch in den kommenden Monaten nicht anders sein“, erklärt Karl-Heinz Götze, MBA, Leiter KSV1870 Insolvenz. Primäre Gründe sind ein rückläufiger privater Konsum und schwindende Exporte, dazu kommen gestiegene Kosten bei Löhnen, Miete und Energie. Das erste Quartal des Jahres verzeichnete mit 1.688 Fällen die meisten Insolvenzen seit 2009, gefolgt vom zweiten mit 1.610 und 1.600 im dritten Quartal.

Mittlerweile jede dritte Insolvenz nicht mehr eröffnet
Nach zuletzt einer leichten Entspannung steigt die Zahl der nichteröffneten Insolvenzfälle wieder an. Zum Ende des dritten Quartals 2024 wurden 1.804 Unternehmensinsolvenzen mangels Vermögens nicht eröffnet. Das sind 37 Prozent aller Firmenpleiten seit Jahresbeginn und ein Anstieg von 20 Prozent an „Nichteröffnungen“ gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das ist auch deshalb alarmierend, weil es dadurch nicht möglich ist, betroffene Unternehmen einem geordneten Insolvenzprozess zu unterziehen.

Im Regelfall bleiben Gläubiger dadurch nahezu zur Gänze auf der Strecke und sehen keinen Cent mehr von jenem Geld, welches ihnen aufgrund erbrachter Leistungen eigentlich zustehen würde. „Dass in diesen Fällen nicht einmal mehr 4.000 Euro für die Deckung der Gerichtskosten aufgebracht werden können, ist ein Armutszeugnis für die jeweiligen Betriebe und ein Fehler im Rechtssystem“, kritisiert KSV-Experte Götze.

Zahl der Großinsolvenzen verdoppelt
Die Zeiten, in denen Firmenpleiten vermehrt mit eher niedrigeren Passiva aufgetreten sind, gehören aktuell der Vergangenheit an. Das lieg nicht nur an den zahlreichen „Signa-Insolvenzen“, so der KSV. Aktuell gibt es bereits 55 Großinsolvenzen mit jeweils über 10 Mio. Euro Passiva. Im Vorjahr waren es mit 27 Fällen dieser Größenordnung bedeutend weniger. Hinzu kommen aktuell 195 Großinsolvenzen mit über 2 Mio. Euro, auch in dieser Kategorie hat sich die Zahl nach 106 Fällen im Vorjahr massiv erhöht bzw. fast verdoppelt.

Wie die aktuelle KSV1870 Analyse zeigt, verzeichnet der Handel 853 Fälle (+ 16 Prozent gegenüber 2023) seit Jahresbeginn die meisten Unternehmenspleiten. Betroffen sind sowohl der Groß- wie auch der Einzelhandel in ähnlichen Dimensionen. Knapp dahinter folgt die Bauwirtschaft (814, + 22 Prozent) und der Bereich Beherbergung/Gastronomie (596, + 16 Prozent). Diese drei Branchen geben im negativen Sinne weiter „den Ton an“ und sind für knapp die Hälfte aller österreichweiten Unternehmensinsolvenzen verantwortlich.

Größter prozentueller Anstieg bei Grundstücks- und Wohnungswesen
Den größten prozentuellen Anstieg verzeichnet das „Grundstücks- und Wohnungswesen“ mit einem Plus von 63 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein tiefergehender Blick in die Bauwirtschaft belegt, dass derzeit vor allem der Hochbau und das Baunebengewerbe (u.a. Elektriker, Installateure, Maler oder Dachdecker) mit zahlreichen Insolvenzen zu kämpfen haben. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres verzeichnet der Hochbau um 25 Prozent mehr Firmenpleiten, gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 zeigt sich eine Verdoppelung der Fälle.

Gleichzeitig zeigt sich im Baunebengewerbe im Vergleich zum Vorjahr eine sehr ähnliche Entwicklung. Hier gibt es um 21 Prozent mehr Firmenpleiten, gegenüber dem Jahr 2019 liegt der Anstieg bei 13 Prozent. Darüber hinaus gibt es im Baunebengewerbe mit aktuell rund 1.600 Fällen eine hohe Zahl an mehr oder weniger freiwilligen Schließungen. Die Gründe sind unter anderem eine fehlende wirtschaftliche Perspektive, fehlendes Personal und eine zu geringe Auftragslage, die es kaum möglich macht, gewinnbringend oder zumindest kostendeckend zu wirtschaften.

Mit Plus von 683 Prozent enormer Zuwachs auch bei Passiva
Massiven Einfluss auf die regelrecht horrenden Passiva in Höhe von rund 15 (!) Mrd. Euro hat zwangsläufig die Vielzahl an „Signa-Insolvenzen“. Die nach Passiva bis dato größte Pleite des Jahres verzeichnet jedoch die Fisker GmbH aus Graz mit Passiva von knapp 3,8 Mrd. Euro. Dahinter folgen die Familie Benko Privatstiftung (Passiva ca. 2,3 Mrd. Euro) und René Benko als Unternehmer (ca. 2 Mrd. Euro). Selbst wenn man diese „Signa-Pleiten“ herausrechnet, auch weil diese keine gewöhnlichen Unternehmensinsolvenzen darstellen und größtenteils bestritten sind, stünden vorläufige Passiva in der Höhe von rund 10,5 Mrd. Euro zu Buche.

Wie bereits prognostiziert, beruhigt sich das Insolvenzaufkommen nicht. Durch auslaufende Bankgarantien und dem Ende der COFAG-Förderungen wird sich die Situation noch zusätzlich verschärfen. „Wir gehen aktuell davon aus, am Jahresende von einem Insolvenzjahr sprechen zu müssen, dass es schon sehr lange nicht mehr gegeben hat“, so Götze. Der KSV1870 rechnet mit österreichweit rund 6.500 Unternehmensinsolvenzen, was einem Zuwachs von etwa 1.100 Fällen entsprechen würde. „Mehr gab es zuletzt im Jahr 2009“,so Insolvenzexperte Karl-Heinz Götze vom Kreditschutzverband KSV1870.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 30.09.2024